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Beziehungen - Die Reise zu sich selbst oder Die gleichwertige Partnerschaft (Teil 1)

Einleitung: Sich kennenlernen

Wer kennt das nicht?! Wir sind unterwegs, lernen jemanden kennen und wir zeigen entweder Interesse an unserem Gegenüber und man vertieft sich in einem Gespräch und das Gegenüber hinterlässt bei einem einen bleibenden Eindruck. Oder aber es bleibt bei einem kurzen Geplauder und jeder zieht seines Weges, ohne sich gegenseitig in irgendeiner Weise berührt oder inspiriert zu haben.

 

Wenn wir von dem erstgenannten ausgehen und wir uns gegenseitig angezogen fühlen und ein bleibender gegenseitiger Kontakt bestehen bleiben soll. Dann kann man davon ausgehen, dass irgendein äußeres Merkmal des jeweiligen Gegenübers unsere Aufmerksamkeit erregte: die Art des Sprechens, der Inhalt des Gesagten, die Körpersprache, Mimik etc. So kann das Gefühl vorherrschen, dass die sprichwörtliche Chemie passt.

 

Auf einer anderen, tieferen Ebene ist es ein vielleicht noch nicht erkennbarer Wesenszug, der uns anspricht und vielleicht auch in den Bann zieht, zumindest uns aber soweit berührt, dass wir das Gefühl haben, diese Person will ich näher kennenlernen.

 

Zwei Arten der Anziehung

Wenn wir dabei von einer Liebesbeziehung ausgehen, können wir nun von zwei Phänomenen ausgehen: Einerseits wirkt hier das Resonanzgesetz im Sinne von “Gleich und gleich gesellt sich gern”. Uns gegenüber erscheinen dementsprechend ähnliche Wesenszüge der Partnerin des Partners, die eine starke Anziehung und das Gefühl des Aufgehoben-und-angenommen-Seins sowie dem entstehenden Gefühl der vielen gemeinsamen Möglichkeiten.

 

Bei dem zweiten Phänomen geht es um das Polaritätsgesetz und der Anziehung durch Gegensätze. Hierbei handelt es sich um die nicht bewusst-gelebten (also verdrängten) Persönlichkeits- oder Seelenanteile, die durch die jeweils andere Person gelebt wird und eine anziehende Wirkung auf das Gegenüber hat. Dabei weist das Gesetz der Polarität in einer Beziehung ein großes Entwicklungspotenzial auf, besteht doch die Möglichkeit, sich selbst in der Beziehung zu begegnen und kennenzulernen. Beispielsweise findet der Partner die gute Organisationsfähigkeit seiner Partnerin sehr attraktiv, denn diese würde ihm selbst fehlen. Oder die Partnerin findet das Verhandlungsgeschick ihres männlichen Gegenübers so anziehend (natürlich besteht diesbezüglich auch bei gleichgeschlechtlichen Beziehungen kein Unterschied!). Nur ahnen beide vielleicht nur, dass diese Eigenschaften in ihnen selbst liegt.

 

In den ersten Monaten fallen zumeist eher die positiven Eigenschaften auf, die die jeweils andere Person repräsentiert. Erst im Laufe der Monate oder gar Jahre, meist nach der Verliebtheitsphase fallen einem die negativen Aspekte des Gegenübers auf. Und nun wirkt das Polaritätsgesetz nicht nur, indem es die eigenen verdrängten Anteile anzeigt, die einem so attraktiv beim Gegenüber erschienen sind. Nun zeigen sich auch jene Eigenschaften und Verhaltensweisen bei der anderen Person, die nicht nur schwer oder gar nicht akzeptabel sind und bei einem selbst abstoßend wirken.

 

Dann kommen so ausgesprochene oder nicht ausgesprochene Gedanken, wie “hätte ich das gewusst, dass sie so egoistisch und selbstsüchtig ist ...” Oder: “Hätte ich man bloß am Anfang mehr darauf geachtet, dass er so engstirnig ist.” Im Normalfall bleibt man in der Projektion bei dem anderen und versucht das Verhalten beim Gegenüber zu ignorieren (man möchte es nicht wahrhaben) oder im Sinne von Vorwürfen anzusprechen und am liebsten zu verändern.

 

Der/die Partnerin als Spiegel

Da wir einen Spiegel im Außen für unseren Schatten, für unsere verdrängten Anteile benötigen, um sie zu erkennen, ist es auch zunächst einmal einfacher und auch nachvollziehbar (und bestimmt für den oder die andere auch reizvoll) sein Gegenüber für diese (eigenen verdrängten) Verhaltensweisen zu verurteilen.

Für eine Beziehung förderlicher ist es jedoch, nicht in der Projektion verhaften zu bleiben und die eigenen Verhaltensweisen bei dem jeweils gegenüber abzuarbeiten, zumal so auch die Gefahr groß ist, die Partnerin oder den Partner derart erheblich zu verletzen, dass er oder sie sich zurückzieht oder selbst in den Angriff geht und wiederum Vorwürfe macht. Aus dieser Spirale von Vorwürfen und Verletzungen (oder auch vom Rückzug) ist nur schwer wieder herauszukommen. Und wie es auch deutlich zu spüren ist, verletzen wir dabei nicht nur unser Gegenüber, sondern letztlich uns selbst damit viel mehr. Nicht selten tauchen dann Gedanken auf, die einen niederdrücken und einem sagen können, dass man diesen Streit und schon gar nicht sich so verletzend ausdrücken wollte. Nur, zurücknehmen kann man die verletzenden Worte nicht mehr, lediglich für die Zukunft eine Verhaltensveränderung herbeiführen und seine Worte gewählter ausdrücken, was dauerhaft aber nur schwer umsetzbar ist, wenn für die eigenen Enttäuschungen weiterhin die oder der Partner verantwortlich gemacht wird und so die vorwurfsvolle Haltung bestehen bleibt.

 

Konstruktiver Umgang mit den eigenen Projektionen

Wie können nun diese Projektionen konstruktiv für einen selbst genutzt und letztlich zurückgenommen werden? Denn es zeigte sich bei mir selbst, dass die Verhaltensweisen des Partners, die einem selbst zuwider sind oder einem stören, dass diese besonders wertvoll sind, um sich selbst darin erkennen zu können. Vielleicht hilft dabei eine gewisse Reflektions- und Kritikfähigkeit. Aber seien wir mal ehrlich, wie schwer ist es, die abgelehnten Verhaltensweisen bei sich selbst erkennen zu wollen und vor allem zu können. Und selbst bei einer hohen Reflektions- und Kritikfähigkeit ist es noch lange nicht gesagt, dass die eigenen blinden Flecken, die verdrängten Persönlichkeitsanteile auch erkannt werden.

 

Mögliche Selbstverurteilung und die Verhinderung dessen

Generell besteht dabei auch die Gefahr, dass man sich selbst die abgelehnten Verhaltensweisen oder Eigenschaften zuschreibt, ohne diese wirklich bei sich zu erkannt zu haben. Daraus kann eine Selbstverurteilung entstehen, die nur einen krankmachenden Rückzug bewirkt und sein Gegenüber dadurch die Chance beraubt, seinen eigenen Anteil bei sich selbst erkennen und bearbeiten zu können. Diese Selbstzuschreibung von Schuld hilft dementsprechend weder dem Partner, der Partnerin noch einem selbst.

 

Daher ist es ganz wichtig, nicht nur diese Theorie (denn diese ist es erst einmal nur) im Kognitiven, im Intellekt zu belassen, sondern sie zu leben und zu verinnerlichen. Dafür kann es ganz hilfreich sein, sich frühere Beziehungen anzuschauen und sich zu fragen, welche Eigenschaften der oder die Partnerin aufwies, die einem störten? Und sich dann selbstkritisch und ehrlich zu beantworten, inwieweit diese mit einem selbst zu tun hatten?

Gerade diese früheren störenden Verhaltensweisen der früheren Beziehungen können am einfachsten angeschaut werden, da ausreichend Distanz zu den Erlebnissen und Gefühlen besteht, um diese selbstkritisch betrachten zu können. Wenn diese früheren abgelehnten Eigenschaften und Verhaltensweisen nicht bearbeitet und bei sich erkannt und akzeptiert wurden, werden diese mit aller Wahrscheinlichkeit in der nächsten Beziehung wieder erscheinen. Wir werden solange mit ihnen konfrontiert, bis wir sie als die unsere erkannt und sie als Möglichkeit für uns nutzen konnten, um so auf unserem spirituellen Weg “heiler” und “vollständiger” geworden sind.

 

Platons “Kugelmenschen”

An dieser Stelle kann es hilfreich sein, Platons Sichtweise auf Beziehungen anzuschauen, um zu verstehen, was mit Vollständigkeit gemeint sein kann. In “Das Trinkgelage” auch als “Das Gastmahl” bekannt, lässt er Aristophanes von Menschen erzählen, die einmal Kugelwesen waren, die aus einem Körper, aus vier Armen und Beinen bestanden. Diese jedoch wurden in zwei Teile geschnitten und nun in der Welt umherlaufen und die Aufgabe haben, die jeweils andere Hälfte wiederzufinden.

 

Platon lässt das durch Aristophanes so ausdrücken: “Es ist also seit uralter Zeit der Eros zueinander den Menschen eingepflanzt; zu ihrem ursprünglichen Wesen führt er sie wieder zurück und sucht aus zweien eins zu machen und die menschliche Natur zu heilen.

Jeder von uns ist demnach Teilstück eines Menschen, da wir ja zerschnitten sind wie die Schollenfische, so daß aus einem zwei geworden sind. Es ist denn auch ein jeder immerfort auf der Suche nach seinem Gegenstück.”

 

Erst durch dieses Wiederfinden seiner “besseren” Hälfte, wie es heute bezogen auf Beziehungen im Volksmund heißt, kann eine geistig-seelische oder spirituelle Heilung und Vollständigkeit wiedererlangt werden.

 

Persönliche Schätze, die es zu entdecken gilt

Erst kürzlich durfte ich selbst erleben, wie mir für mich störende Verhaltensweisen innerhalb der Beziehung hätten dienlich sein können, um durch sie die eigenen verdrängten Themen aktiv bearbeiten und mir bewusst machen zu können. Ich möchte so noch einmal deutlich formulieren: Diese in der Partnerschaft gelebten Projektionen, diese verdrängten Themen und Anteile sind Schätze, die gehoben, die bewusst gelebt werden wollen. Sie können einen selbst reicher und wertvoller machen. (Siehe dazu auch mein Artikel “Ängste verstehen und auflösen!”).

 

Die Partnerin, der Partner kann ein Spiegel für einen selbst sein, wenn man den Mut hat, sich selbst darin zu erkennen. Die entstehende Wut bei der Verurteilung der Eigenschaften des Gegenübers kann dementsprechend gewandelt werden, in den Mut, der benötigt wird, die eigenen “Unzulänglichkeiten” bei sich selbst zu erkennen. Ich habe Unzulänglichkeiten in Anführungsstriche geschrieben, da diese letztlich keine sind. Sie werden nur als solche erlebt, weswegen sie auch verdrängt wurden.

 

Bei mir persönlich wurden diese Eigenschaften und die daraus resultierenden Verhaltensweisen erst nachdem die Beziehung beendet war, von mir als Chancen zur Selbsterkenntnis erkannt. Na ja, “besser spät als nie”, heißt es so schön im Volksmund. So kann diese Chance auch in anderen Beziehungen und Begegnungen, wie auch immer diese geartet sind, genutzt werden, die eigenen verdrängten Persönlichkeitsanteile im Spiegel des anderen zu erkennen und Projektionen zurückzunehmen. Denn wie schon oben angedeutet, findet zuallererst die Projektion statt, also ein bestimmtes Verhalten eines anderen Menschen welches einem selbst stört. Erst durch die entsprechende Reflektion und die daraus sich ergebenden Fragen kann ich die Projektion und damit den Betrachtungsfokus von meinem Gegenüber zurücknehmen und auf mich selbst richten.

 

Mögliche Fragen

Was hat dieses Verhalten X mit mir zu tun?

Wozu zwingt mich dieses Verhalten Y?

Wozu werde ich durch dieses Verhalten Z aufgefordert?

 

Mögliche Gefahren

Jedoch ist es wichtig, sich dabei nicht selbst zu verurteilen im Sinne von “ich selbst bin chaotisch, ich darf dies bei meinem Partner nicht verurteilen (oder ansprechen). Darum geht es nicht! Es geht vielmehr und vor allem um emotionalen, spirituellen und geistig-seelischen Wachstum - um Selbsterkenntnis!

 

Weiterhin darf man sich dabei auch selbst nichts vormachen und bestimmte Themen und die damit einhergehenden Emotionen und Gefühle auszublenden versuchen! Erst im konstruktiven Austausch mit dem oder der Partnerin kann eine wirkliche (im besten Falle) gemeinsame Bearbeitung eines Konfliktes in der Beziehung stattfinden. Dabei bedarf es nicht nur den Mut und die Fähigkeit, Selbstkritik zu üben, sondern ebenso die Geduld und Disziplin an sich selbst zu arbeiten. Da die eigenen verdrängten Verhaltensweisen nicht sofort erkannt werden können (sonst wären sie ja nicht verdrängt) bedarf es die aktive Auseinandersetzung mit dem oder der Partnerin.

Im zweiten und letzten Teil dieses Artikels "Beziehungen - Die Reise zu sich selbst oder Die gleichwertige Partnerschaft" wird es darum gehen, wie Konflikte als Möglichkeit für den eigenen seelischen Wachstum und für die Stärkung einer gleichwertigen Beziehung genutzt werden können.

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